In der Reihe „Swiss Coffin Project Publications“ sollen – neben Themenbänden zu Särgen, die in dieselbe Epoche datieren oder vom selben Fundort stammen – einzelne Sargausstattungen einen je eigenen Band erhalten, so z.B. das Ensemble der Priestertochter Schepenese in der Stiftsbibliothek St. Gallen und dasjenige des Priesters Nes-Schu im Musée d’Yverdon et région. Auch der Kartonage-Sarg der Ta-scherit-en-Imen mit seiner komplexen Biografie soll in einem Einzelband vorgestellt werden.
Offene Fragen zur Dekoration
Der äusserst fragile Sarg wurde 2005 vom Swiss Coffin Project für die Publikation „Unter dem Schutz der Himmelsgöttin“ (2007) erstmals umfassend fotografiert. Schon damals stellten sich betr. seiner Datierung zahlreiche Fragen, die im Beitrag „Eine rätselhafte Bestattung“ meiner Kollegin Renate Siegmann angesprochen wurden. So kann der untere Teil des Kartonage-Sarges aufgrund stilistischer und ikonografischer Merkmale in die frühe 25. Dynastie (2. Hälfte 8.Jh.v.Chr.) datiert werden; die Gesichtspartie jedoch weist in die römische Zeit (1.Jh.n.Chr.).
Der Sarg wurde zusammen mit einer mumifizierten Person um 1887 vom italienischen Hotelier Zaccaria Zanoli vermutlich in Kairo erworben. 1912 liess Zanoli die Kartonage im Garten seiner Villa über dem Lago Maggiore seitlich aufschneiden, damit seine Gäste einen Blick auf die „Mumie“ werfen konnten. Später waren Sarg und mumifizierte Person in einem kleinen Museum im Palazzo Municipale von Brissago ausgestellt und wurden dann im Dachstock des Gemeindehauses aufbewahrt. Seit 2022 gehören sie zum Bestand des „Kulturama – Museum des Menschen“ in Zürich.
Zurzeit wird der Kartonage-Sarg der Ta-scherit-en-Imen im interdisziplinären Forschungsprojekt „DoA – Daughter of Amun“ unter Leitung der Haute-école de conservation–restauration Neuchâtel und unter Mitwirkung des Swiss Coffin Project bearbeitet und restauriert (Restaurierung und Konservierung der Bandagen der mumifizierten Person wurden 2022 abgeschlossen).

©Kulturama – Museum des Menschen Zürich; Foto: Swiss Coffin Project (2005).
Spuren moderner Überarbeitung
Kürzlich traf ich mich an der Haute-école Neuchâtel mit Marine Roux, die sich in ihrer Masterarbeit mit der Restaurierung des Sarges befasst, und wir besprachen die neusten Erkenntnisse zur Kartonage. Im Frühjahr 2024 durchgeführte Scans bestätigen die Vermutung, dass die obere Partie der Kartonage in moderner Zeit neu zusammengesetzt und mit dem unteren älteren Teil aus der 25. Dynastie kombiniert wurde. Dies geschah wohl in den 1880er Jahren in der Absicht, dem Sarg ein intaktes Aussehen zu verleihen und ihn damit besser verkaufen zu können. Dabei wurden auch Fragmente anderer Kartonagen wiederverwendet. So scheint die aus römischer Zeit stammende Gesichtspartie mit Spuren von Vergoldung und in Stuck reliefiertem Ohr- und Halsschmuck eingefügt worden zu sein.
Voruntersuchungen an Farbpigmenten ergaben ausserdem, dass im unteren ältesten Teil Ägyptischblau, ein in der Antike künstlich hergestelltes Pigment, verwendet wurde. An der Perücke hingegen konnte Berlinerblau nachgewiesen werden. Auch wenn die bisher vorliegenden Resultate noch kein abschliessendes Fazit erlauben, deuten sie darauf hin, dass der Kopfbereich – zumindest teilweise – modern übermalt wurde. Auch die Dekoration des mittleren Sargbereiches, der mit ungelenken und bizarr anmutenden Figuren bemalt ist, dürfte modernen Ursprungs sein.
Die Untersuchungen der verschiedenen Kartonageschichten und die Resultate systematischer Pigmentanalysen werden weitere Informationen zur Geschichte des Sarges liefern. Zusammen mit den Forschungen zu Provenienz und Erwerbsumständen sollen die Rätsel um den Kartonage-Sarg der Ta-scherit-en-Imen nach und nach gelöst werden. Wir sind gespannt…